Werner Mendling | Frauenarzt 58 | 2017
1955 wurde die bakterielle Vaginose (BV) – noch als Haemophilus-vaginalis-Vaginitis – von Gardner und Dukes beschrieben, gut 60 Jahre später gibt es immer noch viele ungeklärte Fragen zum Krankheitsbild, seiner Entstehung und Behandlung. Was kann inzwischen als gesichert gelten, und welches Fazit lässt sich daraus für die Praxis ableiten?
In der gesunden Vagina der geschlechtsreifen Frau sind mehr als 300 bakterielle Spezies durch „genomic sequencing“ bzw. 16S-rRNA-Genund PCR-Amplifikationsmethoden identifiziert worden (4, 11), die sich meist in einer von Laktobazillen dominierten Balance befinden. Frauen unterschiedlicher ethnischer Herkunft haben unterschiedliche vaginale Laktobazillen. Es gibt genetisch beeinflusste „community types“ bzw. „vagitypes“, die bisherige Dogmen ins Wanken bringen und von denen manche von einem einzigen Bakterium, andere von einem breiten Spektrum anderer Bakterien dominiert werden (5, 16, 25). Die häufigsten Laktobazillus-Arten von gesunden Schwangeren in Wien im dritten Trimester sind Lactobacillus (L.) crispatus, L. gasseri, L. jensenii und L. rhamnosus (15). L. iners kommt zwar auch in der gesunden Scheide vor, nimmt aber bei Dysbiose/BV zu und verdrängt dann L. crispatus. Bestimmte Laktobazillusarten sind also nicht per se „gut“! Das vermehrte Vorkommen von L. iners zulasten von L. crispatus oder L. gasseri ist signifikant mit einer Frühgeburt gekoppelt (15, 17, 23, 25). Die Scheide erlebt dynamische Variationen der Mikrobiota während des Zyklus und durch das Sexualverhalten. Tampons führen zu keiner negativen Beeinflussung der vaginalen Mikrobiota (7). Das System kann auch bei häufigen und diversen sexuellen Aktivitäten (z. B. Analverkehr) relativ stabil in einer Balance sein (5). Laktobazillus-Arten können sowohl in der Scheide als auch in Mund und Rektum nachgewiesen werden. Das Vorkommen von L. crispatus an zwei oder drei dieser Orte reduziert das Risiko für eine BV, umgekehrt erhöht die starke Kolonisation mit BV-assoziierten Bakterien (BVAB), Gardnerella (G.) vaginalis, Leptotrichia/ Snethia oder Megasphera das Risiko einer BV (12). Bei 494 asymptomatischen, prämenopausalen estnischen Frauen wurde erstmals mit moderner Technologie auch das Mykobiom untersucht. Dabei fand man neben fünf von verschiedenen Laktobazillus-Arten dominierten „Vagitypen“ in etwa 50 % verschiedenste Pilzgattungen mit einer Prä- valenz von 69,9 % Candida-Arten, darunter 67,6 % C. albicans (4). Eine stabile, von Laktobazillen dominierte vaginale Mikrobiota schützt vor aszendierenden Infektionen, vor Spätaborten und Frühgeburten und erschwert die HIV-Infektion (s. Abb. 1). Genpolymorphismen beeinflussen die Menge vaginaler Bakterien, das Risiko für Frühgeburten und BV, aber auch Paradontitis ist mit Frühgeburtlichkeit assoziiert (8, 19, 23, 25). Die Anaerobier der BV produzieren Amine, Sukzinat, Sialidasen und immunomodulatorische Substanzen wie Lipopolysaccharide, Lipoteichonsäuren und Peptidoglykane mit dramatischen Folgen für die vaginale Immunität.
Bakterielle Vaginose
Mit der Beschreibung der „Haemophilus-vaginalis-Vaginitis“ durch Gardner und Dukes (Houston, Texas) im Jahr 1955 begann eine neue Ära in der gynäkologischen Infektiologie (6). Seit 1980 wird das Bakterium Gardnerella (G.) vaginalis genannt. Gardner und Dukes wiesen auf die Bedeutung des Nativpräparats und der „Clue Cells“ hin. Gardner war zeitlebens sicher, mit der seit 1984 als bakterielle Vaginose bezeichneten Erkrankung eine neue sexuell übertragbare Infektion entdeckt zu haben. PerAnders Mardh (Lund, Schweden) organisierte 1984 ein Symposium in Stockholm, bei dem Lars Weström aufgrund der jahrelangen Arbeiten der Arbeitsgruppe aus Seattle um David Eschenbach zusammenfasste: „BV is a replacement of lactobacilli by characteristic groups of bacteria accompanied by changed properties of the vaginal fluid“ (24). Richard Amsel, ein junger Mitarbeiter von Eschenbach, beschrieb 1983 Kriterien zur Diagnostik der BV („AmselKriterien“) (1), die 1991 von Robert Nugent (14) aus dem gleichen Institut auf Basis eines Grampräparats mit Abschätzung der Zahl von Laktobazillen, gramnegativen Stäbchen und Mobiluncus-Arten reproduzierbar gemacht wurden („Nugent-Score“, s. Abb. 2). Dieser Nugent-Score wird meist auf bakteriologischen Laborbefunden angegeben und ist klinisch bedeutender als der (nicht empfohlene) Nachweis eines Bakteriums.
Die diagnostischen Kriterien der BV sind (1): ? grau-weißer Fluor, ? fischiger Geruch, ? pH > 4,5, besonders wenn 10 % KOH-Lösung zugeführt wird (in vivo entsteht dieser Effekt mit Menstruationsblut oder Sperma), und ? mindestens 20% „Schlüsselzellen“ (s. Abb. 3). Etwa 15–20 % der Schwangeren in Deutschland haben eine BV, nur die Hälfte gibt Beschwerden an. Das ist insofern von Bedeutung, als man in letzter Zeit vermehrt von symptomatischer und asymptomatischer BV spricht und die Behandlungsnotwendigkeit relativiert.
Dieser Wechsel von Balance über Dysbiose (s. Abb. 4) zur BV dauert 7–14 Tage. Mit kulturellen Methoden werden bei BV die Gattungen Gardnerella, Prevotella, Porphyromonas, Bacteroides, Mobiluncus, Mycoplasma, Ureaplasma und Peptostreptococcus nachgewiesen, die die gesunde Scheide mit Mengen von 102–105/ml besiedeln, bei BV aber in Mengen von 106–108/ml vorkommen. Kulturunabhängige Methoden offenbaren aber viel mehr (weit über 50) Arten bei BV (10, 25, 27, 35): Clostridiales, BVAB-1, -2 und -3, Atopobium (A.) vaginae, Megasphera, Leptotrichia, Dialister, Eggerthella, Peptinophilus lacrimalis, auch L. iners. Es gibt vier verschiedene G.-vaginalis-Stämme, von denen nur zwei den für BV typischen Marker Sialidase produzieren, und nur ein Stamm dominiert statistisch signifikant bei BV (10). Der Nachweis von G. vaginalis in der Vagina ist somit klinisch unbedeutend. Keine BV gleicht in ihrer bakteriologischen Zusammensetzung vollkommen der anderen. Polymikrobielle bakterielle Biofilme bei BV Bei BV treten Biofilme an der Vaginalwand auf, die auch an Epithelzellen im Urin beider Partner zu finden sind, oft auch im Endometrium, gelegentlich im Eileiter und selbst im Kryosperma. Sie werden sexuell übertragen (22). „Clue Cells“ haben ihren Ursprung im Biofilm der Vaginalwand. Diese Biofilme bestehen aus zahlreichen Bakterienarten. Die Entstehung einer BV wird von genetischen und äußeren Faktoren beeinflusst. Bakterien in Mund, Rektum und Vagina interagieren je nach genetischer Disposition der Frau. Rezeptiver Oralsex, digitale vaginale Penetration, rezeptiver Analverkehr vor Vaginalverkehr, Rauchen und schwarze Hautfarbe sind signifikante Risikofaktoren für BV (2, 12). Die Entstehung eines Biofilms zur BV hängt von der Kooperation und Menge verschiedener geeigneter Bakterien („quorum sensing“) und der Laktobazillen ab. Die Biofilme werden mit einer leitliniengerechten Therapie mit z.B. Metronidazol nicht beseitigt und scheinen so die Ursache für die hohe Quote von Rückfällen von 30% nach 3 Monaten und 60% nach 6 Monaten zu sein. Es gibt aber auch Fälle mit spontan gut erholbarem Laktobazillus-System. Frauen mit behandelter BV haben ein hohes Risiko für Rückfälle, wenn sie mit dem gleichen Partner ohne Kondombenutzung wieder verkehren (12). Eine Partnerbehandlung bei BV nutzt der Frau jedoch nicht, vermutlich, weil die Biofilme persistieren.
Therapie der BV
Die symptomatische (!) BV kann au- ßerhalb der Gravidität mit Metronidazol oral 2× 500 mg pro Tag für 7 Tage, 1× 2 g Metronidazol oral oder Abb. 2: Grampräparat (×1.000, Ölimmersion) bei bakterieller Vaginose, Nugent-Score 10 (7–10 = BV): keine Laktobazillen, viele gramnegative kleine Stäbchen, einige gramnegative gebogene Stäbchen (MobiluncusArten), viele grampositive Kokken (diese zählen nicht im Nugent-Score) Abb. 3: Nativpräparat aus vaginalem Fluor (Phasenkontrastmikroskopie, ×400). Bakterielle Vaginose, Schlüsselzellen, keine Laktobazillen, keine Leukozyten, pH-Wert 5,2 Abb. 4: Nativpräparat aus vaginalem Fluor bei Dysbiose („Mischflora“, weder normal noch BV) (Phasenkontrastmikroskopie, ×400). Keine Schlüsselzellen; kurze, plumpe Stäbchen, möglicherweise L. iners, auch vereinzelt kokkoide Bakterien, pH-Wert 4,4 226 FRAUENARZT 58 (2017) Nr. 3 2× 2 g im Abstand von 48 Stunden, und während einer Gravidität mit 1–2× 500 mg Metronidazol Vaginaltabletten oder mit 5 g Clindamycin 2 % Vaginalcreme für 7 Tage therapiert werden (13, 26). Plazebokontrollierte Untersuchungen haben gleich gute Heilungsraten für 1× 2 g Metronidazol oral im Vergleich zu 2× 1 g intravaginal an zwei aufeinander folgenden Tagen ergeben (89,9 % vs. 92,5 %). Aufgrund vereinzelter Studien scheinen die Rezidivquoten nach Dequaliniumchlorid 10 mg Vaginaltabletten für 6 Tage denen nach leitliniengerechter Therapie ähnlich zu sein. Da vor Therapie der BV diverse Gruppen von Bakterien vorliegen, resultieren nach Therapie auch unterschiedliche Arten von BVAB. Vielleicht erklärt das unterschiedliche Ergebnisse von Studien, in denen durch Therapie der BV eine Reduktion von Frühgeburten erreicht werden sollte. Sicher ist aber, dass ein ausgewogenes Laktobazillen-System die Schwangerschaft schützt. In der von Udo Hoyme in Erfurt und Thüringen nach der Idee von Erich Saling durchgeführten Studie zur Vermeidung von Frühgeburten (8) konnte das eindrucksvoll demonstriert werden. Es soll deshalb dort von der Landesregierung nach 15 Jahren wieder aufgenommen werden.
Prophylaxe mit Lakto- bazillen/Probiotika Probiotika
sind Mikroorganismen mit einem gesundheitlichen Nutzen für den Menschen. Sie agieren im Gastrointestinaltrakt und beeinflussen das Immunsystem. Eine Metaanalyse von 12 Studien mit 1.304 Patientinnen bestätigte, dass Probiotika signifikant die Heilungsquote der BV verbessern, insbesondere, wenn es sich um europäische Frauen und kurze Follow-up-Zeiten (4 Wochen nach Therapie) handelt (9, 21). Frauen mit BV profitieren signifikant von einer Substitution mit Laktobazillen gegenüber Plazebo nach leitliniengerechter Therapie, sodass die hohe Rezidivquote etwa halbiert wird. Nach eigener Auffassung sollte diese Prophylaxe über mehrere Wochen durchgeführt werden.
Das Nativpräparat bleibt für die klinische Diagnostik die Methode der Wahl!
Trotz der verwirrenden Artenmenge und der technologischen Bestimmungsmöglichkeiten ist die phasenkontrastmikroskopische Betrachtung des Nativpräparats zur klinischen Unterscheidung einer normalen oder abnormalen vaginalen Mikrobiota die signifikant überlegene Methode (18). Trainingskurse sind aufgrund belgischer Studien zur Übung gut geeignet (3).
Fazit für die Praxis
Diverse Laktobazillen halten eine große Menge von Bakterien in der Scheide in einer je Frau individuellen Balance. Dieses System ist trotz täglicher Schwankungen meist stabil. Es wird durch genetische und immunologische Faktoren sowie Sexualverhalten, Rauchen und andere Faktoren beeinflusst. Tampons haben darauf keinen Einfluss. Der Nachweis einzelner Bakterien (Gardnerella, Mycoplasma hominis/Ureaplasmen, „Darmkeime“) ist unbedeutend, ja normal, nicht indiziert und führt meist zur Behandlung von Laborbefunden mit Erhöhung der vaginalen Morbidität. Die BV ist eine sexuell übertragbare Dysbiose mit erhöhter Menge und Diversität von Bakterien, die therapeutisch schwer behandelbare Biofilme bilden. Somit kommt der Prophylaxe der BV mit Probiotika nach Therapie mit Clindamycin, Metronidazol oder Dequaliniumchlorid erhöhte Bedeutung zu.