GYNÄKOLOGISCHE INFEKTIOLOGIE – Das Toxic-Shock-Syndrom aus gynäkologischer Sicht

„14-Jährige stirbt wegen Tampon“ (Panorama aktuell/Schweiz, 20. 11. 2013) und „Frau verlor Bein wegen eines Tampons“ (Stern, 19. 6. 2015) sind die beispielhaften Überschriften, die seit Jahren Frauen beunruhigen können, wenn sie Tampons zur Menstruationshygiene benutzen. Dementsprechend steigt in letzter Zeit die Werbung für und das Interesse an Alternativen wie der Menstruationstasse (13). Dabei wird auch von Ärztinnen und Ärzten gelegentlich nicht bedacht, dass das Toxic-Shock-Syndrom (TSS) häufiger nicht-menstruell als menstruell vorkommt und außerdem häufiger bei Kindern und bei Männern
als bei Frauen. Im Folgenden sind Informationen zum TSS aus gynäkologischer Sicht zusammengestellt.

Frauen benutzten seit der Antike verschiedenste Materialien in und vor der Scheide, um das Menstruationsblut aufzufangen. Dabei ist auch zu bedenken, das die Frau der Antike und noch des Mittelalters eine wesentlich kürzere Lebenserwartung und zahlreiche Schwangerschaften hatte, während die Frau heute als Folge der modernen Lebensumstände früher ihre Menarche hat, nur noch relativ selten schwanger wird und auch mithilfe von Hormonpillen bis über die physiologische Menopause hinaus menstruieren kann. Das bedeutet, dass damals etwa 200 Menstruationen pro Frauenleben möglich waren, heute aber mehr  als doppelt so viele. Die Assoziation „Toxic-Shock-Syndrom – Menstruation – Tampon“ ist aber in dieser Konsequenz falsch, wie in den folgenden Ausführungen in Erinnerung gerufen werden soll. Das sollten Gynäkologen wissen, die mit Recht als die kompetentesten Ansprechpartner der Frauen bei dieser Frage gelten. Der Berufsverband der Frauenärzte hatte am 7. 11. 2011 eine entsprechende Stellungnahme mit der Überschrift „Toxisches Schocksyndrom: Risiken durch Tampon-Verwendung äußerst gering“ verfasst (www.frauenaerzte-im-netz.de/de_news_652_1_1121.html).

Historie

Im Jahr 1978 beschrieb der amerikanische Kinderarzt (!) Todd eine Serie von sieben Fällen eines TSS (das noch nicht so klar wie heute definiert war) bei Kindern beiderlei Geschlechts in Denver (33). Zwei Jahre später definierten die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) der USA erstmals das TSS. Es folgte ein weiteres Jahr später die Identifikation des auslösenden Toxins, des Toxic Shock Syndrome Toxin-1 (TSST-1) von Staphylococcus aureus (25).
In Deutschland wird das TSS zwar in gynäkologischen Lehrbüchern erwähnt, doch sind nur sehr vereinzelt Fallberichte mit Details aus unserem Fachgebiet zu finden (12). Eine ausgezeichnete, englisch geschriebene Monografie, hervorgegangen aus einer Dissertationsschrift an der Universität Düsseldorf, fasste das Wissen der Zeit sehr ausführlich zusammen (15). In einer PubMed-Suche vom September 2016 mit den Begriffen „TSS, Germany, last 10 years“ fanden sich nur drei Angaben (einmal bei Panaritium, einmal nach einer plastischen Operation, einmal während einer Menstruation ohne Tampongebrauch). Keinesfalls ist das TSS auf (menstruierende) Frauen beschränkt, sondern kann praktisch in allen Lebenssituationen und bei verschiedenen Krankheiten vorkommen (s. Tab. 1).

Pathogenese des TSS

Ein TSS entsteht, wenn ein spezieller Bakterienstamm – hier z. B. Staphylococcus aureus –, der bestimmte Exotoxine mit Superantigeneigenschaften bilden kann, auf einen Organismus trifft, der noch keine Antikörper gegen dieses Antigen gebildet hat. Das sind meistens junge Menschen (Teenager), die noch nicht mit einem solchen Bakterienstamm konfrontiert waren, oder Menschen, die nicht in der Lage sind, solche Antikörper zu bilden.
Ein TSS kann auch durch andere Bakterien induziert werden. Neben dem durch Staphylococcus aureus ist das durch Streptococcus pyogenes (AStreptokokken)
das häufigste (nicht zu verwechseln mit A-Streptokokken- Sepsis!). Auch durch Streptococcus agalactiae der Gruppe G oder C sind TSS beschrieben worden. Die Toxinbildung wird bei hohem pH-Wert um 7 optimiert. Menstrualblut kann einen pH bis 7 aufweisen. Superantigene (bestimmte Exotoxine, > 50 verschiedene  sind bekannt) stimulieren individuell bestimmte TLymphozyten durch Bindung an die beta-Ketten (> 25 verschiedene) der T-Lymphozyten-Rezeptoren. Während normalerweise eine von 10.000 TZellen stimuliert wird, werden durch Superantigene > 50 % aller T-Lymphozyten aktiviert (30). Dadurch entstehen massive Mengen von Zytokinen (IL-1, IL-2, TNF-?, -? und -?, IFN-?).

TSS und Tampons

Die Firma Procter & Gamble (USA), zur Zeit der Erstbeschreibung des TSS Neuling auf dem Tamponmarkt, hatte im Rahmen der Entwicklung neuer Technologien damit begonnen, Tampons nicht mit Baumwolle, sondern aus Rayonfasern und Polymeren herzustellen und brachte einen Tampon auf den Markt, der den Namen Rely erhielt (more reliable, „it even absorbs the worry“) (36). Im Mai 1976 entwickelte die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA neue Sicherheitsund Kontrollmechanismen für Medizinprodukte, Nahrungsmittel und Kosmetika. Tampons wurden jetzt in den USA Medizinprodukte/medical
devices (bis jetzt in Deutschland nicht reguliert).

Aufgrund erster Tests des Rely-Tampons bereits in 1974 entging dieses Produkt den behördlichen Auflagen von 1976. Im Jahr 1980 wurden 16,8 Mio. Exemplare in den USA verkauft. Der Tampon bestand aus Schaumkuben und Carboxymethylzellulose, einem gelbildenden Saug- und Speichermedium. Dieser Tampon war so saugstark, dass er stark aufquoll. Aus einem Interview mit einer Verwenderin damals: „I remember removing that Rely tampon after getting home late at night and wondering whether I had lost my virginity, that thing had gotten so huge“ (36). Die meisten menstruationsassoziierten TSS ereigneten sich damals im Bundesstaat Wisconsin mit Rely-Tampons dieser besonderen Saugstärke. Nach Hinweisen darauf, dass ein TSS durch diese Tamponbeschaffenheit und -saugstärke gefördert werden kann (man sprach damals zeitweise von der „Tamponkrankheit“), nahm Procter & Gamble am 22. 9. 1980 Rely vom Markt. Die Zahl der Tamponverwenderinnen ging zusätzlich stark zurück (15). Von da an sanken tamponassoziierte menstruelle TSS-Fälle dramatisch (36). Die Erinnerung bleibt aber und verbindet auch heute noch Tampons als Ursache eines TSS.

Erkrankungen durch Staphylococcus aureus

Es handelt sich meist um einzelne Stämme mit besonderer Virulenz, die Infektionen auslösen. Gesunde Menschen sind in etwa 15–40 % der Fälle im Nasen-Rachen-Raum asymptomatisch kolonisiert, kranke häufiger. Bestimmte Influenza-A-Viren prädisponieren besonders zur Kolonisation (24). In den USA tritt das TSS heute meistens nach einer Influenza auf (pers. Mitteilung Schlievert 2013)!  Auffällig ist eine Assoziation mit Fremdkörpern bzw. Implantaten, an denen Biofilme gebildet werden können. MRSA-Stämme sind nicht virulenter als andere, sondern unterscheiden sich nur in der Empfindlichkeit gegen Antibiotika. Etwa 5–20 % aller Isolate können TSST-1 bilden, etwa 20 % der Stämme in deutschen Krankenhäusern sind Methicillin-resistent, in der nicht hospitalisierten
Bevölkerung (community acquired MRSA) sind die Nachweise sehr unterschiedlich (24).

Es sind vier Szenarien möglich:

  1. invasive Infektionen (Mastitis Osteomyelitis u. a.),
  2. Sepsis (Letalität immer noch bis 15 %),
  3. lokalisierte Infektionen (Abszesse usw.),
  4. Erkrankungen durch Staphylococcus-aureus-Toxine:
    — Staphylococcal Scalded Skin Syndrome (SSSS): toxische epidermale Nekrolyse, mit den Sonderformen bullöse Impetigo, Pemphigus neonatorum,
    Dermatitis exfoliativa Ritter von Rittershain,
    — Lebensmittelintoxikation (Enterotoxine),
    — TSS durch Exotoxine = Superantigene, z. B. TSST-1, selten Enterotoxin B, C; in Deutschland MRSA mit TSST-1-Gen seltener, in Großbritannien häufig.

Erkrankungen durch Streptococcus pyogenes

Unter den zahlreichen Streptokokkengruppen sind hier die ?-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus pyogenes, Group A streptococci/GAS)) von Bedeutung. ß-hämolysierende Streptokokken der Gruppe B (Streptococcus agalactiae/ GBS) spielen in der Frauenheilkunde bei der (zunächst unbedeutenden) Kolonisation von Darm und Vagina (etwa 20 % der Schwangeren) wegen der potenziellen Gefährdung des Neugeborenen (besonders Frühgeborenen) eine Rolle. Frauen mit aerober Vaginitis (AV, im Ausland als desquamative inflammatorische Vaginitis/ DIV bekannt) sind meist vaginal von vielen B-Streptokokken kolonisiert, deren pathogene Bedeutung hier unklar ist.

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